Frauen in der Brigittenau: Zum Frauentag 2023

ELLA SCHAPIRA
1897-1990, Schneiderin
Ella Schapira wurde 1897 in Russland geboren. Ihr Vater war Österreicher und durfte nicht in Russland leben und arbeiten. Daher hat auch Ella keinen Geburtsschein bekommen. Als Jude war es damals schon schwierig in Russland – als illegaler Jude wohl noch schwieriger, daher entschied sich die Familie 1905 nach Österreich zu gehen. In einer gefährlichen Aktion haben sie den Grenzfluss Sbrutsch überquert und sich in Tarnopol, damals polnisch-österreich angesiedelt.
Als Migrant:innen lebte die Familie ärmlich in der Stadt. Elke besuchte nur zwei Jahre eine Schule. Obwohl der Vater sehr fromm war, konnte sich Elke an ihrer Mutter orientieren, die eher pragmatisch war und für die ihre Kinder im Vordergrund standen. Die Familie war arm, trotzdem hat den Kindern nichts gefehlt. Elke hat aber schon bald gelernt, dass sie Sachen selber machen muss, wenn sie spezielle Dinge haben muss. So hat sie mit der Schneiderei angefangen und dann eine Lehre in diesem Bereich gemacht.
Als der erste Weltkrieg beginnt, muss Elke Tarnopol verlassen. Nach einer mehrwöchigen Reise erreicht sie Wien. Sie bewohnt gemeinsam mit fünf anderen Frauen ein Zimmer mit nur zwei Strohsäcken in der Hellwagstraße. Sie arbeitet in einer Fabrik und näht Fellhandschuhe für die Soldaten. Sie heiratet schließlich Jakob Rosenstrauch im Klucky-Tempel. Dafür braucht sie einen Geburtsschein und verwendet schließlich dafür den ihrer Cousine, die auch Elke hieß. Ein weiterer gefälschter Geburtsschein half Ella Schapira, dann Jahre später aus Österreich zu fliehen. Ihr Vater kommt nicht zu ihrer Hochzeit, weil ihm Wien zu wenig fromm ist. Nach der Hochzeit lebt sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in der Karl-Meißl-Straße 10 und führt dort auch eine Schneiderei. Sie war damit immer erfolgreicher und hat schließlich zwei junge Frauen bei sich beschäftigt. Die Ehe ist nicht glücklich, Ella bleibt aber mit ihrem Mann zusammen, weil sie den Kindern ersparen will, dass die anderen sagen, sie haben keinen Vater.
Als die Werkstatt in der Wohnung zu klein wird, bekommt sie eine Werkstätte in der Nordbergstraße. Dort braucht sie auch einen Gewerbeschein. Nachdem sie keine Prüfung hat, hat sie einen Gewerbeschein für das Schneidern von Schlafröcken. Später hat sie dann die Prüfung nachgeholt, weil bei einer Kontrolle auffiel, dass sie nicht nur Schlafröcke macht. Als Schneidermeisterin hat sie dann deutlich mehr verdient als ihr Mann, was ihre Situation verschlechtert hat. Ihr Mann ist gewalttätig. Trotzdem bleibt sie bei ihm. Mit der Machtübernahme Hitlers verändert sich für Ella anfangs wenig. Allerdings merkt sie bald, dass sie in Wien als Jüdin nicht mehr sicher ist. Eine Kundin bietet ihr einen Arbeitsplatz in England an. Anfangs will sie ihn wegen ihrer Kinder und ihrem Ehemann nicht annehmen, merkt aber bald, dass es nicht anders geht. Ihre ältere Tochter geht zuerst nach England als Kindermädchen. Ihr Sohn Oskar wird verhaftet, weil er im Widerstand tätig ist und flieht in die damalige Tschechoslowakei und kommt erst später nach London. Die jüngere Tochter schafft es auch nach London. Eine Woche nachdem sie sich auf den Weg nach England gemacht hat, wird ihr Mann abgeholt, als er gerade beim Friseur in der Karl-Meißl-Straße ist. Er überlebt das Konzentrationslager, stirbt aber später bei dem Versuch, nach Palästina auszureisen. Ella heiratet 1947 in England ein zweites Mal und lebt gut situiert in London. Sie leidet darunter, immer wieder neue Sprachen lernen zu müssen. Der Beruf hat ihr aber über die Jahre Sicherheit gegeben

FANNY MUNZAR
Daten unbekannt, Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, Musikerin und Unternehmerin
Sie war berufsmäßige Zitherspielerin und besaß einen eigenen Musikverlag (Fanny Munzar Verlag) mit dem sie eine Vielzahl an Zitherkompositionen herausgab. Noch immer findet man unzählige Notenblätter und Ausgaben von Fanny Munzar. Auch im Buch von Katharina Pecher-Havers „Der Salon des Proletariats: Die Narrative der Zitherkultur und ihre Erzählräume.“ wird sie als Verlegerin erwähnt. Als einer der wenigen Komponistinnen ihrer Zeit schrieb sie unzählige Stücke: Volkslieder, Tänze, Walzer u.a., wie Ballkönigin, Feenwalzer, Lebenslust, Blume des Glücks etc.. Ihr Repertoire ist zumeist melodiös und wird bis heute bei Anlässen gespielt. Auch sind ihre Werke beliebte Lehrstücke im Zitherunterricht. Darüber hinaus war Munzar Eigentümerin einer behördlich konzessionierten Zitherschule in der Brigittenau, in der Rauscherstraße 11. Dort lernte Anton Karas, der das berühmte Harry Lime Thema im Film „Der Dritte Mann“ komponierte.
Die für die Wiener Stimmung charakteristische Form der Besaitung der Zither und die zugehörige Spielweise entstanden in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Wien. Die Spielweise der Zither verbreitete eine besondere Stimmung und wurde zu einer einzigartigen Wiener Unterhaltungsmusik, die in die UNESCO-Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen wurde. Durch zahlreiche Zitherschulen und -vereine wurde die Zither, das „Lamentierbrettl“ wie man in Wien um 1900 liebevoll zu sagen pflegte, zum Masseninstrument der Arbeiterklasse. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Munzar ihre Schule in der Brigittenau führte.